Außer zu den Verhören konnte Mario die Zelle normalerweise nur drei Mal die Woche verlassen, um an die frische Luft zu gehen. Dieser Freigang war ein Privileg und kein Recht. Rechte hatten Gefangene hier keine. Der verhörende Stasioffizier und die Wärter entschieden, ob dieses Privileg gewährt wurde oder nicht und wie lange es dauerte. Je kooperativer man im Verhör war, desto öfter kam man raus. Hat man im Verhör nichts gesagt, konnte es sein, das man mehrere Wochen nicht ins Freie kam.
Der Freigang bedeutete, man kam in einen Käfig. Immer alleine und getrennt von anderen Gefangenen. Auch hier bekam man niemand anderen zu Gesicht. Auf dem Boden war damals ein weißer Strich gezogen, einige Zentimeter von der Wand entfernt. Diesen Strich durfte man nicht übertreten, womit das Anlehnen an der Wand unmöglich war. Ebenso war es verboten, auf dem Boden zu liegen und zu sitzen sowie in den Himmel zu schauen. Über den Käfigen gab es eine Plattform, auf der ein Wächter stand, der die Einhaltung der Regeln überwachte und die Gefangenen, mit Gewehr im Anschlag, sofort anbrüllte, wenn sie dagegen verstießen. Natürlich schaute Mario in den Himmel, wenn der Wärter gerade mal nicht aufpasste. Mit etwas Glück konnte er bei klarem Wetter weiße Flugzeuge mit einem blauen Kreis am Leitwerk sehen. Dies waren die Maschinen der amerikanischen Fluggesellschaft PanAm. Hatte Mario ein solches Flugzeug gesehen, überkam ihn ein Glücksgefühl und der Tag war gerettet. Für ihn stand fest: Eines Tages würde auch er in einem dieser Flugzeuge sitzen. Den Traum der Freiheit musste man in dieser Situation ganz fest in sich tragen, um nicht aufzugeben.
Im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten war es den Häftlingen zu Marios Zeit gestattet in den Käfigen leise Sport zu betreiben. Die einzige Möglichkeit sich zu bewegen während der gesamten Haftzeit. Man musste die Zeit gut nutzen, da man vorher nie wusste, wie lange das Privileg denn diesmal dauern würde.
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