Mike R.
Mike R.

Mike R.

Mir fiel Mike gleich an meinem ersten Tag in der Bahnhofsmission bei der Essensausgabe auf, und mein erster Gedanke war: Der hat sich wohl verlaufen!

Gut angezogen, mit Rollkoffer und Aktentasche, entsprach Mike gar nicht dem Klischee, dass „man“ von einem Obdachlosen hat. Mike sah eher aus, als ob er auf dem Weg zum Flughafen, zum nächsten Geschäftstermin wäre. Aber Mike kam wirklich zur Essensausgabe für Bedürftige. Einige Tage später kam ich mit Mike ins Gespräch.
Als ich ihm von meinem ersten Eindruck erzählte, sagte er mir, dass er tatsächlich auf dem Flughafen schläft und dort nicht auffallen darf, weshalb er versucht sich wie ein Reisender zu verhalten und auszusehen. Zum Zeitpunkt unseres Kennenlernens im November 2014 lebte Mike seit 5 Wochen auf der Straße.
Einige Tage später begleitete ich Mike abends zum Flughafen und er erzählte mir seines Geschichte.

Mike ist im August 1975 in der bayerisch-schwäbischen Provinz geboren und aufgewachsen. Sein Vater verließ die Familie als er vier war. Seine Mutter heiratete später wieder, aber die Ehe hielt auch nicht. Mike hatte eine jüngere Schwester, die als Kind einen Unfall hatte und nach länger Pflege an den Folgen starb.
Mike machte ein Ausbildung zum Bürokaufmann in einem Autohaus, die er auch abschloss.
2000 wurde Mikes Mutter schwer krank er und pflegte sie bis zu ihrem Ableben 2006. Nach dem Tod seiner Mutter, Mike hatte keine Familie mehr, löste er die Wohnung auf und verlies seinen Geburtstort, da ihn dort nichts mehr hielt, und kam nach Berlin. Er wohnte in einer Pension, fand auch schnell Arbeit und lernte nach nur wenigen Wochen eine Frau kennen, mit der er nach nur zwei Wochen zusammenzog. 2009 bekamen die beide ihren Sohn Patrick.
Mike hörte auf zu arbeiten und kümmerte sich um Kind und Haushalt.
2013 ging die Beziehung in die Brüche. Mike bekam ein Schreiben vom Anwalt seiner Freundin, dass er die Wohnung, die seiner Freundin gehörte, zu verlassen hat.

Mike arbeitete danach bei Motz Umzüge und hatte über das Unternehmen auch ein Zimmer in Friedrichshain für 5 Euro am Tag. Bei einem der Umzüge lernte Mike ein Lehrerin kenne, bei der er dann zwischenzeitlich auch eine zeitlang wohnte. Aber die Beziehung hielt nicht lang.

Am 14.8.2014 wurde Mike 39 Jahre alt und einen Tag danach am 15.8. brach Mike körperlich und psychisch zusammen. Er ging zum Drogennotdienst, obwohl er kein Drogenproblem hatte, und wollte sich selbst einliefern. Wegen des nicht vorhandenen Drogenproblems konnte man dort für Mike nichts machen, rief aber einen Notarzt und die Polizei und Mike wurde in ein Krankenhaus gebracht. Dort wurde ein Burnout und eine Depression diagnostiziert. Mike wurde eine Weile in der Klinik betreut und nach einiger Zeit wieder entlassen. Durch den Tipp einer Sozialarbeiterin kam er in die Einrichtung „Trockendock“, obwohl er kein Alkoholproblem hat. Mike ist stolz darauf keinen Alkohol und keine Drogen zu nehmen, denn er weiß, dass Drogen meist den Abstieg beschleunigen und eine Rückkehr zu einem normalen Leben fast unmöglich machen.
Das Leben im „Trockendock“ war extrem streng reglementiert und überwacht, was Mike nicht ertragen konnte. So verlies er am 25.10. 2014 die Einrichtung und lebte seitdem auf der Straße und schlief am Flughafen.
Zwar ist es natürlich verboten am Flughafen zu schlafen, weshalb Mike sich den Reisenden anpasst um nicht aufzufallen. Hin- und wieder passiert es, dass der Sicherheitsdienst ihn nach einem Flugticket fragt, was er nicht vorweisen kann. Dann muss er den Flughafen verlassen. Mike hat gelernt nicht aufzufallen, seine Umgebung und die Menschen zu beobachten. Mittlerweile kennt er viele Leute, die am Flughafen arbeiten, weiß wer, wann und wo Dienst hat, wer ihm gefährlich werden könnte und wer nicht. Nicht auffallen ist das wichtigste.
Der Flughafen bietet viele Vorteile. Strom zum Aufladen des Handys, teilweise kostenloses Internet (so kann Mike übers Handy TV schauen, Mails senden/empfangen und Kontakt halten mit Bekannten), saubere sanitäre Einrichtungen, Sicherheit und ständig neue Kontakte mit Reisenden, die man kennen lernt und mit denen man sich unterhalten kann, auch wenn es nur flüchtige Bekanntschaften sind und er natürlich lügen muss, weil er ja als Reisender durchgehen muss.
Nach 23 Uhr wird es dann am Flughafen ruhiger und Mike kann sich einen Platz zum Schlafen suchen, wo evtl. auch ein paar mehr Reisende auf Ihren Flug am frühen morgen warten und die Nacht verbringen um nicht aufzufallen. Ab 5 Uhr erwacht der Flughafen zum Leben und an schlafen ist nicht mehr zu denken. Auch in der Zeit von 0 bis 5 Uhr ist kein ruhiger, tiefer Schlaf möglich, weil man immer mit einem Ohr wachen muss.
Morgens nach dem Aufwachen geht er in die Waschräume, danach versucht er nochmal ein wenig zu schlafen bevor sich mittags meist mit seinem, auch obdachlosen Bekannten André trifft und zur Bahnhofsmission begibt, wo die Beiden sich auch kennen gelernt haben. Dort bekommt er warmes Essen und kann sich auch noch Essen für den Abend und den nächsten Morgen mitnehmen. Meist verbringen Mike und Andre danach noch etwas Zeit zusammen, bevor sie sich trennen und Mike wieder zum Flughafen fährt.

 

Mikes Sohn und dessen Mutter wissen nicht, dass er auf der Straße lebt. Seine Wünsche für die nahe Zukunft: Weihnachten nicht auf der Straße und am Flughafen verbringen zu müssen. Mal wieder durch- und ausschlafen, frühstücken, duschen, im Bett liegen und Fernsehen schauen und zur Ruhe kommen. Nach einigen Wochen der Erholung dann wieder nach einem Job suchen und arbeiten um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Vielleicht nach Österreich, dort werden anscheinend im Tourismus immer Leute gesucht. Die Jobaussichten und die Bezahlung sind in Österreich wohl besser.

Ein Woche nach unserem gemeinsamen Termin am Flughafen, wollte ich Mike eigentlich nochmals, diesmal morgens, am Flughafen besuchen und mit ihm den Tag beginnen. Aber es kam anders. Nur wenige Tage nach unserem Treffen bekam Mike eine eigens Einzelzimmer in einem Wohnheim, womit sein Wunsch nach ausschlafen, TV schauen und Weihnachten nicht auf der Straße verbringen müssen, in Erfüllung ging.
Heute, im März 2014, wohnt Mike immer noch in dem Wohnheim, hat auch tatsächlich einen Job bei einem Sicherheitsdienst gefunden und ist auf dem Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben. Ich stehe weiterhin mit Mike im Kontakt.

 

Mai 2015
Mike ist in Salzburg und hat dort einen Teilzeitjob an der Rezeption eines kleinen Hotels. Am 11.5. hat er in der Charité eine Haarprobe abgegeben, die beweisen soll, dass er keine Drogen genommen hat. Anscheinend hat er Probleme seinen Sohn zu sehen. Nach diesem Haartest, hofft er, dass das Familiengericht ihm wieder ein Umgangsrecht einräumt.

Ende 2015
Der Haartest war negativ, vor dem Familiengericht bekam Mike ein Besuchsrecht eingeräumt und darf sein Kind nun regelmässig sehen.

Nach dem Job in Salzburg hat Mike das dort verdiente Geld in Reisen investiert und war u. a. in Portugal und Chicago. Danach war er wieder ein Weile in Berlin, wo eine zeitlang am Flughafen Schönefeld schlief, weil Tegel inzwischen zu stark kontrolliert wurde. Danach kam er bei einem Bekannten im Zimmer eines Wohnheimes unter. In der Zeit arbeitete er in einer Einrichtung der Berliner Stadtmission.

Im Frühjahr 2016 ist Mike wieder auf Reisen gegangen und ist (Stand Juli 2016) seit einigen Monaten in Estepona Spanien.

Zurück